Was wäre wenn: Wir in der Corona-Krise mehr gemeinschaftsgetragene Unternehmen hätten? Oder: Braucht unsere Wirtschaft mehr Community?

Autorin: Mona Knorr

Ich bin selbstständig. In meiner Bubble aus Selbstständigen geht momentan die Existenzangst um. Abgesagte Aufträge, Workshops, Veranstaltungen, das führt bei vielen zu Einkommenseinbrüchen. Gleichzeitig müssen Miete, Krankenversicherung und die Fixkosten weiter getragen werden, auch wenn man alle anderen Bedürfnisse auf ein Minimum reduzieren und seine Ausgaben für eine Weile damit deutlich drosseln kann.

Eine Frage, die nicht nur ich mir stelle: Wäre das anders, wenn diese Selbstständigen (und auch die Gastronomiebetriebe, die jetzt alle schließen müssen) ausnahmslos communitybasiert/ gemeinschaftsgetragen wirtschaften würden?

In diesem Artikel versuche ich mich an einem kleinen Gedankenexperiment dazu.

Leistungserstellung und Bezahlung sind entkoppelt

Es entstehen immer mehr Unternehmen in anderen Versorgungsfeldern als der Solidarischen Landwirtschaft, die gemeinschaftsgetragen wirtschaften. Durch die Zusage ihrer Community, die Kosten für ein Jahr zu tragen, wären sie in Situationen, wie wir sie jetzt erleben, abgesichert: Es gäbe nämlich keine Einkommenseinbrüche, weil Beiträge und Leistung voneinander entkoppelt sind. Im Falle vom Mabon-Kollektiv (das ich Dir hier vorgestellt habe) würde das z.B. bedeuten, dass die Mitglieder weiterhin ihren monatlichen Beitrag an Lisa entrichten. Die Gemeinschaft überlegt gemeinsam, wie Workshops und Treffen z.B. online stattfinden oder ob sie einfach ausfallen können. Lisa hätte in dieser Zeit also weiterhin ein Einkommen und könnte sich darauf konzentrieren, neue Formate für die Mitglieder zu entwickeln und/oder sich in ihrer lokalen Community zu engagieren.

Grundversorgung vs nice-to-have

An dem Beispiel vom Mabon-Kollektiv wird klar: Auf Communitytreffen und Workshops kann jede*r von uns im Ernstfall verzichten. Ein Workshop kann also locker verschoben werden, online stattfinden oder ggf. ausfallen, ohne dass davon mein Alltag stark beeinträchtigt wird. Wenn die Solawi aber plötzlich gar kein Gemüse mehr liefern kann, fehlt mir schlicht ein Teil meiner Grundversorgung. Und ich benötige das Geld, das ich monatlich an den Hof zahle, dann plötzlich dringend für einen Ersatzeinkauf im Supermarkt. Einen kompletten Ernteausfall hat es (nach meinen Recherchen) im Solawi-Kontext aber noch nie gegeben. Deshalb ist es natürlich auch sehr spekulativ, darüber zu schreiben, was eine solche Situation mit der Solidarität der Mitglieder – gegenüber dem Hof, aber auch untereinander – machen würde. Vielleicht würden die Mitglieder gemeinsam versuchen, Lebensmittel auf anderen Wegen zu beschaffen und zu verteilen, z.B. im Rahmen einer Food-Coop.

Solidarität und Community

Der Vorteil gemeinschaftsgetragener Strukturen ist die Gemeinschaft/Community, die darin geübt ist, solidarisch zu sein: Gemeinsam sichert sie auf ein Jahr die Existenz der Anbieter*innen ab. Untereinander wird in einer Bietrunde vereinbart, wer sich mit welchem Beitrag an dem Jahresbudget beteiligen kann. Die Mitglieder sind in gemeinschaftsgetragenen Strukturen also gezwungen, sich über ihre sozialen und finanziellen Bedürfnisse selbst klar zu werden und diese untereinander auszutauschen. Sie lernen, Kompromisse einzugehen, das eigene Ego vielleicht auch einmal zurückzustellen, damit die Community funktionieren kann. Ich persönlich bin sehr optimistisch, dass das in einer Krisensituation auch funktionieren würde – so wie jetzt Freundeskreise und Nachbarschaften untereinander Ressourcen und Bedürfnisse austauschen. 

Wenn wir alle gemeinschaftsgetragen wären

Mal angenommen, fast jede*r von uns hätte am Anfang des Jahres ein ausfinanziertes Jahresbudget. Ein Jahresbudget, in das ja dann auch die Beiträge einkalkuliert sind, über die ich mich durch andere gemeinschaftsgetragene Strukturen versorge (z.B. mit Lebensmitteln, Grafik-Dienstleistungen, Handwerker*innenleistungen, Gesundheitsleistungen). Dann könnte ich in der jetzigen Krise diese ganzen Beiträge problemlos weiter zahlen, weil ich selbst keine Einkommenseinbußen habe, und ich könnte überlegen, wieviel Versorgung ich momentan wirklich brauche, welche ich vielleicht später in Anspruch nehme, und welche ich aus Solidarität vielleicht nicht abrufe oder anderen, die sie dringender brauchen, zur Verfügung stelle. Und ich könnte mich selbst darauf konzentrieren, die dringlichsten Versorgungsstrukturen zu unterstützen, so dass sie möglichst lange aufrecht erhalten werden. In den meisten Fällen nämlich sind diese Versorgungsstrukturen nahräumlich, ich kenne also meine Erzeuger*innen, Dienstleister*innen und Produzent*innen persönlich und kann sie direkt unterstützen. Aber zugegeben, dieses Gedankenexperiment ist sehr theoretisch – aber irgendwie auch cool, je länger ich darüber nachdenke. 🙂

Was ich hoffe: Mehr CSX nach der Corona-Krise

Was ich mir derzeit wünsche: Dass die Corona-Krise dazu führt, dass mehr gemeinschaftsgetragene Strukturen (CSX) entstehen. Dass Menschen erleben, wie wichtig Communities und Solidarität sind und dass Risiko und Verantwortung geteilt werden kann. Und dass sie deshalb überlegen, wie sie z.B. Gastro-Betriebe gemeinschaftsgetragen aufstellen oder Dienstleistungen gemeinschaftsgetragen organisieren können. Nicht ehrenamtlich, sondern mit Jobs, die auch in der Krise ohne Existenzangst funktionieren.

Gemeinschaftsgetragene Organisationen für Räume der Begegnung und Kultur

Die Pandemie zeigt nämlich, dass ausgerechnet die Orte einer Stadt, die Raum bieten für Begegnung, Austausch und Impulse (Cafés, Bistros, Kulturbetriebe…) das Risiko und die Verantwortung in einer Krise kaum alleine tragen können. Jeder von uns hat ein Lieblingscafé oder -theater, in das er/sie gerne geht – die Verantwortung und das Risiko für den Betrieb liegt aber bei den Betreiber*innen alleine. Gemeinschaftsbasiert aufgestellt käme es zu einem Risikoausgleich zwischen Anbieter*innen und Konsument*innen. Die Organisationen wären in der jetzigen Situation abgesichert, und die Beiträge würden nicht nur für Kaffee und Kuchen gezahlt, sondern stellten auch eine Wertschätzung für das Angebot an sich dar. Dass es funktionieren kann, zeigen unzählige Beispiele von Cafés, deren Communities jetzt Gutscheine kaufen oder virtuell einen Kaffee trinken und das Geld dafür spenden, um die Betriebe durch die Krise zu tragen.

Vielen Dank an Sophie Löbbering, Timo Wans, Michaela Hausdorf, Simon Scholl, Jan-Philipp Bleeke, Matti Pannenbäcker und Christoph Spahn für das hilfreiche Feedback zum Text. Die Inspiration zu diesem Artikel verdanke ich Rico Grimms Text “Zehn unsichere, aber eventuell wertvolle Prognosen über die Folgen der Corona-Epidemie” vom 17.3.2020 (Krautreporter). Ebenfalls lesenswert: “Eight Emerging Lessons: From Coronavirus to Climate Action” von Otto Scharmer.

[Der Artikel erschien zuerst auf dem mittlerweile aufgelösten Blog communitysupported.org und wurde im Juli 2021 in leicht gekürzter Form auf diesen Blog übertragen.]